Strategische Selbsterkenntnis

Strategische Selbsterkenntnis: Ein Schlüsselfaktor für erfolgreiche Führung

24.07.2024

Führungskräfte, die sich ihrer Stärken, Grenzen und Werte nicht bewusst sind, können ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen. Ihre Produktivität und ihre Teams können darunter leiden. Aber eine unverfälschte Selbstwahrnehmung allein reicht nicht aus. Selbsterkenntnis wird strategisch, wenn das Wissen über das eigene Selbst zu effektivem Handeln befähigt. Das bedeutet, dass Führungskräfte verstehen müssen, wie sich ihre Persönlichkeitseigenschaften auf ihre Reputation auswirken und welche Verhaltensweisen sie ändern können, um effektiver zu sein.

Laut Robert Hogan, Gründer von Hogan Assessment Systems, meinten die alten Griechen mit "Erkenne dich selbst" mehr als eine reine Selbstbeobachtung. Ihr Konzept der Selbsterkenntnis bedeutete, die Grenzen der eigenen Fähigkeiten in jeder möglichen Situation zu verstehen. In ähnlicher Weise erfordert Hogans Konzept der Selbsterkenntnis – die strategische Selbsterkenntnis – das Verständnis, wie andere uns in sozialen Interaktionen wahrnehmen.

In diesem Artikel definieren wir strategische Selbsterkenntnis, zeigen, warum sie für Unternehmen wichtig ist und beschreiben, wie diese in der Praxis aussieht.

Was ist strategische Selbsterkenntnis?

Strategische Selbsterkenntnis ist das Ausmaß, in dem jemand seine Stärken und Grenzen kennt und weiß, wie andere einen wahrnehmen – insbesondere in Hinblick auf Konkurrenzsituationen. Diese komplexe Form der Selbsterkenntnis besteht aus drei Hauptkomponenten:

  • Verständnis der eigenen Stärken und Chancen für Wachstum und Veränderung
  • Verständnis, wie die eigenen Stärken und Schwächen mit denen anderer Personen zusammenhängen
  • Verständnis der Notwendigkeit, das eigene Verhalten situationsbedingt anzupassen, um die Effektivität zu steigern.

Strategische Selbsterkenntnis bezieht sich nicht auf die Identität, d.h. wie wir uns selbst sehen, sondern auf die Reputation, d.h. wie andere uns sehen. Diese Unterscheidung ist wichtig: In einem wettbewerbsorientierten Umfeld hängen die Verhaltensweisen, die wir anpassen müssen, von der Wahrnehmung der anderen und vom Kontext ab.

Ein Beispiel: Eine Person mit einer flexiblen, unkonventionellen Arbeitsweise kommt gut mit Ambiguität zurecht, kann auf andere jedoch unorganisiert und impulsiv wirken. Diese Persönlichkeitsmerkmale können für einen User Experience Designer in der Anfangsphase eines Projekts sehr nützlich sein. Wenn es jedoch in späteren Projektphasen erforderlich ist, enger mit Front- und Backend-Entwicklern zusammenzuarbeiten, muss der UX Designer wahrscheinlich mehr auf Prozesse und Details achten, als er im Arbeitsalltag gewohnt ist.

Die Entwicklung und Anwendung strategischer Selbsterkenntnis ist für jeden wertvoll, besonders aber für Führungskräfte. Zu verstehen, wie sich das eigene Verhalten auf andere auswirkt, ist der Kern effektiver Führung.

Warum ist strategische Selbsterkenntnis so wichtig?

Hogan definiert Führung als die Fähigkeit, ein leistungsstarkes Team aufzubauen und auf Kurs zu halten. Strategische Selbsterkenntnis ist eine entscheidende Kompetenz für diese Aufgabe.

Strategische Selbsterkenntnis ist jedoch schwer zu erreichen. Es ist menschlich, eigene Schwächen herunterzuspielen und unangenehme Wahrheiten über sich vor sich selbst zu verbergen. Auch wollen wir andere lieber nicht auf ihre Schwächen hinweisen, weshalb ehrliches Feedback selten ist. Dies gilt insbesondere für höhere Führungsebenen: Viele scheuen sich davor, Vorgesetzten oder Personen mit hohem Status ehrliche Rückmeldungen zu geben, wenn diese kritisch sind. Darüber hinaus ist die menschliche Natur so komplex, dass Selbsterkenntnis sich im Laufe der Zeit entwickelt und nicht auf einen Schlag erreicht werden kann.

Um strategische Selbsterkenntnis zu erlangen, müssen wir verstehen, wie wir auf andere wirken. Es geht darum, die positiven und negativen Auswirkungen unseres Verhaltens auf andere zu erkennen. Dies spielt eine zentrale Rolle bei der Führung von Teams. Die Effekte des eigenen Handelns zu erkennen und kleine, aber wirkungsvolle Anpassungen vorzunehmen, kann die Teamdynamik und -effizienz erheblich verbessern.

Schwerwiegende Folgen bei fehlender strategischer Selbsterkenntnis

Fehlende strategische Selbsterkenntnis bei Führungskräften kann gravierende Konsequenzen für das jeweilige Team bedeuten. Stellen wir uns zum Beispiel eine temperamentvolle und energische Führungskraft vor, die unter Stress heftig auf schlechte Nachrichten reagiert. Um die Führungskraft nicht zu verärgern, lernt das Team, Fehler zu verbergen. Dies kostet Zeit und hindert das Team daran, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Hinzu kommt, dass die Führungskraft so ohne vollständige Informationen agiert, wodurch Fehlentscheidungen wahrscheinlicher werden.

Führungskräfte ohne strategische Selbsterkenntnis können daher ein ernsthaftes Risiko für ihre Organisation darstellen. Im Gegensatz dazu können Führungskräfte, die ihr Verhalten unter Stress verstehen und lernen es zu steuern, die Produktivität steigern. Wichtig ist auch, dass Führungskräfte flexibel und richtig entscheiden können, wann sie ihre unterschiedlichen strategischen oder operativen Stärken einsetzen und wann sie sich eher auf die Fähigkeiten anderer verlassen sollten. Eine solche vielseitige Führung (Leadership Versatility im Englischen) wird in Studien immer wieder mit Führungserfolg in Verbindung gebracht, ist aber bei weniger als 10 % der Führungskräfte zu beobachten.

Um ein Umfeld zu schaffen, in dem Führungskräfte und Teams erfolgreich sein können, müssen Unternehmen ihre Mitarbeitenden bei der Entwicklung von strategischer Selbsterkenntnis unterstützen. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten aufgezeigt, wie dies geschehen kann.

Strategische Selbsterkenntnis in der Praxis

Bevor jemand sein Verhalten erfolgreich anpassen kann, muss er (1) seine Stärken und Grenzen kennen, (2) verstehen, wie diese mit denen anderer zusammenhängen, und (3) verstehen, welche konkreten Verhaltensweisen helfen, effektiver zu sein. Wissenschaftlich validierte Persönlichkeitstests bieten einen guten Ausgangspunkt.

Strategische Selbsterkenntnis entwickeln

Persönlichkeit besteht aus zwei Komponenten: Identität und Reputation. Die meisten von uns sind mit der Identität vertraut, d.h. mit dem Bild, das wir von uns selbst haben. Für die meisten wichtigen Karriereziele ist jedoch die Reputation entscheidend. Aus diesem Grund konzentrieren sich Hogan Assessments darauf, Erkenntnisse über die Reputation zu liefern.

Hogan Assessments beschreiben die „helle Seite“, die „dunkle Seite“ und die „Innenseite“ der Persönlichkeit: Das Hogan Personality Inventory (HPI) misst unsere positiven Eigenschaften, die uns im Alltag erfolgreich machen. Mit dem Hogan Development Survey (HDS) werden unsere sogenannten Derailer identifiziert. Dabei handelt es sich um eigentliche Stärken, die bei Stress, Belastung oder Selbstüberschätzung überstrapaziert und damit zu Schwächen werden. Das Motives, Values, Preferences Inventory (MVPI) beschreibt Werte und Motive, die uns meist unbewusst sind, aber unsere Entscheidungen, Karrieremotivation und bevorzugte Arbeitsumgebung bestimmen.

Hogan ermöglicht einen umfassenden, ehrlichen Blick auf das Wesentliche der Persönlichkeit eines Menschen, inklusive der schönen und der schlechten Seiten. Hohe HDS-Werte können potenziell negative Eigenschaften aufdecken, die den Führungsambitionen einer Person im Weg stehen könnten. So kann z.B. eine Person, die normalerweise selbstbewusst und sicher auftritt, unter Druck arrogant, übertrieben kompetitiv oder sogar aggressiv werden.

Oft sind die Eigenschaften, die zum Erfolg einer Person beitragen, auch die Eigenschaften, die ihr im Weg stehen können. Ein individueller Charakterzug, der eine Person besonders macht, kann den Umgang mit ihr auch manchmal erschweren. Das Erkennen und Ausbalancieren dieser Tatsache ist eine zentrale Herausforderung der strategischen Selbsterkenntnis. Dies ist keine Aufgabe, die sich schnell erledigen lässt, sondern eher eine lebenslange Mission. Strategische Selbsterkenntnis ist anspruchsvoll und zeitaufwendig, aber sie ermöglicht es, das eigene Verhalten und so möglicherweise die eigene Reputation zum Besseren zu verändern.

Mit strategischer Selbsterkenntnis Entwicklungsziele festlegen

Unterstützung ist hierbei von enormer Bedeutung: Ein Hogan-zertifizierter Coach ist eine unschätzbare Ressource, um strategische Selbsterkenntnis zu fördern und in Entwicklungsziele umzusetzen. Mit einer neutralen Perspektive kann ein Coach die Assessment-Ergebnisse entschlüsseln und mit dem individuellen beruflichen Kontext der Führungskräfte verknüpfen.

Coaches können Führungskräften auch Taktiken an die Hand geben und ihnen zeigen, wie sie ihre Entwicklungsziele im Alltag fokussieren können. Wirksame Entwicklung hängt oft von kleinen, alltäglichen Verhaltensänderungen ab, wie z.B. sich an Namen zu erinnern, um Empathie aufzubauen. Viele kleine Bemühungen führen kumulativ zu größeren positiven Veränderungen, wie zu mehr Vertrauen und stärkeren Beziehungen.

Wer seine Entwicklungsziele auf strategischer Selbsterkenntnis aufbaut, sollte eine offene Kommunikation über seine Veränderungsbemühungen führen. Im Entwicklungsprozess sind Verantwortungsübernahme und Feedback entscheidend. Verantwortung bedeutet in diesem Zusammenhang, die Notwendigkeit von Veränderungen offen anzuerkennen und sich zu Verhaltensänderungen zu verpflichten. Dieser offene und verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Unzulänglichkeiten ist ein wichtiger Schritt im Entwicklungsprozess und ein starkes Signal nach außen.

Im Entwicklungsplan sollte zudem festgelegt werden, wie und wann Feedback eingeholt wird. Dies kann in Form eines jährlichen 360-Grad-Feedbacks, eines monatlichen Coachings oder regelmäßiger informeller Gespräche am Arbeitsplatz erfolgen. Genauso wie ein Spitzensportler seine Leistung analysiert, um sie zu verbessern, benötigen Führungskräfte mit Entwicklungszielen eine externe Perspektive, um ihre Fortschritte zu bewerten. Regelmäßiges Feedback ist unerlässlich, um zu verstehen, ob die bisherigen Bemühungen ausreichend sind oder angepasst werden müssen.

Strategische Selbsterkenntnis – die eigenen Stärken und Grenzen kennen und verstehen, wie andere auf diese blicken – ist am Arbeitsplatz und im Leben von großem Wert. "Erkenne dich selbst" ist nicht umsonst seit Jahrtausenden ein guter Rat.


Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel, der ursprünglich im Hogan Assessments Blog veröffentlicht wurde.